Vorfahrt für die Nummer eins
- Blickpunkt TRANSPORTER
- 9. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Der Opel Vivaro Electric machte Station in der Änderungsschneiderei.

Stellantis addiert gerne: Citroën plus Fiat, Opel/Vauxhall und Peugeot gleich Nummer eins unter den Transporteranbietern, so lautet die Formel. Mittendrin der Opel Vivaro Electric. Prompt steht in den Fahrzeugpapieren als Typ Vivaro, als Hersteller jedoch Peugeot. Der kompakte Transporter zählt nach sechs Jahren beileibe nicht zum Nachwuchs, die französischen Stammväter fahren sogar schon zwei Jahre länger. Jedoch altern Transporter bekanntlich nicht, sie reifen. Und mit E-Kennzeichen, entsprechender Signatur auf dem Heck und aktueller markentypisch schwarzglänzender Nase vorn – Stichwort „Vizor“ – sieht dieser Opel nicht nur opelig aus, sondern selbst funktionell in Weiß gewandet und mit schwarzem Stoßfänger frisch und fit. Optisch ist die Sache klar: Dieser Transporter ist in der Blüte seiner Jahre.
Neben der verjüngten Optik zählen zu den Änderungen eine neue E-Maschine, die neue Elektrik/Elektronik, ein digitales Cockpit, reichlich recht friedlich glucksende Assistenzsysteme und eine aufgefrischte Bedienung. Es lohnt sich, dem Opel stellvertretend für ein ganzes Transporterrudel gründlich auf den Zahn zu fühlen.

Dem Zahn der Zeit tritt der Vivaro mit der neu sortierten Bedienung entgegen. Die Taste der elektronischen Feststellbremse jetzt links in der Armaturentafel statt zwischen den Sitzen, an die Stelle des fummeligen Schalters für die Rekuperation sind Schaltpaddel getreten, nun für drei Stufen. Die Anzeigen der neuen Digitalinstrumente lassen sich flott per Tastendruck wechseln, die Feinjustierung verlangt nach Gewöhnung, ebenso die Tastatur des neuen Lenkrads. Auffällig ist in diesem Umfeld ein klassischer Zündschlüssel, da war der Opel schon mal weiter. Oder die tagsüber schlecht ablesbare Stellung der Rädchen für Temperatur und Gebläse. Trotzdem: Alles zusammen wirkt aufgeräumter und frischer. Jedoch weiterhin etwas schwarz-düster, wenn auch aufgelockert durch einen Silberstreif im Cockpit. Und bitte nicht die schwarzglänzenden Elemente in der Armaturentafel als edlen Klavierlack bezeichnen – es handelt sich um Plastik.
Der neue Elektromotor tritt unverändert mit 100 kW Leistung und nun 270 Nm Drehmoment an. Das genügt vollauf, auch beladen und an kräftigen Steigungen lässt der Opel nicht locker. Er wählt beim Start durchweg die mittlere Temperamentsstufe, passt. Die Dynamik ist angemessen, im Unterschied zum großen Bruder Movano Electric will der Transporter kein Blitzstarter sein. Die Eco-Stufe erscheint eher phlegmatisch, dann beschleunigt der Transporter nicht, er setzt sich in Bewegung. Im Power-Modus wiederum wirkt die Fuhre fast spritzig. Die Maschine pfeift beim Auf und Ab des Fahrpedals ein wenig düsenjettig.
Die Rekuperation entspricht in der automatisch gewählten untersten Stufe einer Verzögerung à la Motorbremse, passt ebenfalls. Ein leichtfüßiger Segelmodus ist nicht vorgesehen, aber jetzt eine Einpedal-Variante mit sehr kräftiger Verzögerung. Die Dynamik ist angemessen, im Unterschied zum großen Bruder Movano Electric will der Transporter kein Blitzstarter sein.
Wie gehabt nicht ganz so toll ist die Hardware: Das Cockpit spannt ein wenig. Dann wären da der etwas undefinierte Fahrersitz, mickrige Außenspiegel ohne Weitwinkelfeld, die breiten und damit sichtbehindernden A-Säulen, dazu der etwa spät reagierende Spurwechsel-Warner. Umso wichtiger sind die Rückfahrkamera und die Draufsicht aus Vogelperspektive beim Rangieren im überschaubar großen mittigen Monitor im Format 10".
Unter dem Wagenboden lagert hier die größere der beiden lieferbaren flüssigkeitsgekühlten Batterien mit einer nutzbaren Kapazität von 69 kWh. Das klingt eher durchschnittlich, reicht je nach Einsatzprofil für eine Reichweite im Solobetrieb zwischen gut 200 und etwa 350 km. 24,2 kWh benötigte der voll ausgeladene Transporter auf der recht anspruchsvollen Redaktions-Hausstrecke, eingeschlossen eine feurige Autobahnetappe. Das Ergebnis bewegt sich sogar im unteren Bereich der Normwerte nach WLTP. Wärmepumpe und Klimaanlage hatten während der Verbrauchsfahrt nichts zu tun.
An der Ladesäule legt der Vivaro Electric kein überschäumendes Temperamt vor. An der Wallbox zieht er mit 11 kW. An der Schnellladesäule schafft er laut Daten maximal 100 kW, der Testwagen legte in der Spitze noch 10 % drauf. Irritierend: Die Instrumente fabulieren während des Stopps am Kabel sogar von einer Ladegeschwindigkeit mit 500 km/h. Die ungewohnte Einheit bedeutet übersetzt 500 km Reichweite in einer Stunde – die der Opel aber niemals schafft. Egal, interessanter sind Abrufe von Öko-Tipps zur stromsparenden Fahrweise oder einem Video zur Funktion von Assistenzsystemen. Und wohin nach der Ladepause mit dem bordeigenen Kabelsalat? Er ruht in einer Tasche im Frachtraum, keine Ideallösung.
Dort hinten ist die Entriegelung der Hecktüren auf 180° Öffnung mit spießigen und mitunter nicht wieder einrastenden Aufstellern nicht die schönste Lösung. Aber dann: Palette quer durch die Hecktüren, Palette längs durch die Schiebetür? Passt schon. Stabile Zurrösen und Vollverkleidung des Laderaums inklusive Radkästen? Reicht schon. Gewichtige Fracht, ungleiche Verteilung? Geht schon. Hier ist’s ein Ladungsträger mit Beton-Estrich, jeder Pack 30 kg schwer. Und der lange Vivaro wird immer länger. Erste Stufe: Die Besatzung entfernt den Deckel in der Trennwand hinter dem Beifahrersitz. Zweite Stufe: Fahrersitz hochklappen. Macht mehr als 4 m Platz. Mit diesem Praktiker kann mancher hochmoderne und extravagante E-Transporter nicht mithalten.
Man kennt es vom Vivaro und seinen Geschwistern, sie gehen mit ihrer aufwendigen Schräglenkerachse unter Beladung tief in die Knie. Fahren sich mit viel Fracht aber unproblematisch, gemütlich schaukelnd, unterstützt von einer feinfühlig-straffen Lenkung. Der Testwagen zeigte indes unter dem Ladungs- auch Leidensdruck, ächzte angestrengt aus Richtung Heck. Und knapp bemessen ist mit maximal 1 t die Anhängelast des Elektrikers.
Und nun wird erneut addiert, jetzt aber von den Interessenten – hat der Vivaro Electric oder einer seiner Geschwister für Sie das Zeug zur Nummer eins?
Fahrleistungen und Messwerte
Beschleunigung:
0–50 km/h 4,2 s
0–80 km/h 8,3 s
0–100 km/h 12,1
Elastizität:
60 – 80 km/h (Kickdown) 3,3 s
60 – 100 km/h (Kickdown) 7,3 s
80 – 120 km/h (Kickdown) 10,9 s
Höchstgeschwindigkeit:
begrenzt auf 135 km/h
Innengeräusche:
Stand/50/80/100 km/h –/60/62/68 dB(A)
Höchstgeschwindigkeit 69 dB(A)
Kraftstoffverbrauch:
Normverbrauch WLTP kombiniert 24,0–26,2 kWh
CO2-Emission kombiniert 0 g/km
Teststrecke beladen 24,2 kWh/100 km
Testverbrauch min./max. 20,8-33,5 kWh/100 km
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