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Der graue Star

  • Autorenbild: Blickpunkt TRANSPORTER
    Blickpunkt TRANSPORTER
  • vor 6 Tagen
  • 5 Min. Lesezeit

Stärkster Bulli aller Zeiten. Ein Transporter im Grenzbereich.


Grauer VW ID Buzz Bulli steht auf Schotter vor einem herbstlichen Waldhintergrund. Stimmung ist ruhig.

Der Inhalt des VW mit der schlängeligen Bezeichnung ID. Buzz Pro 4MOTION fällt aus dem Rahmen. Da wäre hinten ein permanenterregter Synchronmotor mit einer Leistung von 210 kW und einem wuchtigen Drehmoment von 560 Nm. In der Mitte eine neue Lithium-Ionen-Batterie. Vorne schließlich das entscheidende Merkmal des 4MOTION, ein zusätzlicher Asynchronmotor mit 80 kW Leistung und 134 Nm Drehmoment. Als Systemleistung nennt VW gewaltige 250 kW, über das gemeinsame Drehmoment schweigt man sich aus. Es ist allemal genug, wie sich schnell herausstellt.


Ähnelt der beherzte Tritt aufs Fahrpedal doch einem Griff in die Steckdose. In knapp unter sechs Sekunden schnellt der 2,5 t schwere VW auf Tempo 100, schüttelt dabei seine Leistung mühelos aus den Radkästen. Fährt sich raubtierhaft leise, schnell, stets auf dem Sprung. Das reißt dem Fahrer die Mundwinkel nach hinten bis zu den Ohren und stempelt einen Abdruck des Rückgrats in die Sitzlehne. Ähnliches gilt für jede Art der Zwischenbeschleunigung. Erst bei 160 Sachen ist Schluss, VW gönnt dem Super-Buzz 15 km/h mehr Tempo als gewohnt.


Unbändige Kraft ist die eine Seite dieses ID. Buzz, Traktion seine andere. Die Hauptlast beim Fahren ruht auf der Hinterachse. Beim Anfahren packt die Vorderachse stets mit an, das stabilisiert die feurige Fuhre ungemein. Sichert ebenfalls, unterstützt von enorm breiten Reifen auf beiden Achsen, rasanten Antritt. Verhindert indes brachiale Kraftentfaltung mit schwarzen Strichen auf der Fahrbahn. Auch bei unterschiedlichem Grip links und rechts kennt der 4MOTION keinerlei Zicken, die Regelsysteme gewährleisten einen souveränen Geradeauslauf. Ohne Krawall selbst auf Schotter. Das breite Grinsen des Transporters überträgt sich auf den Fahrer.


Hinzu kommt eine sympathisch-straffe Abstimmung und ein überraschend guter Federungskomfort. Mit seinen breiten Walzen klebt sich der Super-Buzz geradezu auf der Straße. Fahrwerke können sie bei VW, der ID. Buzz tanzt bei forcierter Fahrweise einen geschmeidigen Tango. Allenfalls voll beladen kennt er auf Bodenwellen ein gewisses Nicken um die Querachse. Und beim Wenden ist der Allradler wegen des geringeren Einschlagswinkels der Vorderräder nicht so extrem behände wie seine zweiradgetriebenen Geschwister.


Ein echtes Fahrerauto also, und dazu ein Nützling. Ob im Winter, für Energieversorger auf dem Matschweg zum Windrad, auch mal für die Baustelle. Nur mit einem Offroader sollte man ihn nicht verwechseln, dafür fehlt es an Bodenfreiheit und rustikaler Bereifung.


Wie aber sieht es mit dem Vergnügungszuschlag aus? Dazu liefert die Preisliste eine Überraschung: Der Mehrpreis für den Allradantrieb mit zweitem Motor beläuft sich auf lediglich rund 1.600 Euro netto. Zum Paket gehören ebenfalls Aluminiumräder im Großformat. Klingt nach einem Sonderangebot. Trotzdem rutscht der ID. Buzz Cargo Pro 4MOTION damit über die Schwelle von 50.000 Euro netto.


Auf der Straße muss der Eigner des 4MOTION ebenfalls mit einem Zuschlag rechnen. Der Verbrauchswert nach WLTP klettert um überschaubare 5 %. Indes bleibt nicht aus, dass Fahrer immer mal wieder einen Teil der Mehrleistung abrufen, wozu sonst die Power? Nach Praxiserfahrungen im Test beläuft sich der Mehrverbrauch zum ID. Buzz Pro mit Hinterradantrieb daher auf rund 10 %. Macht beladen zwischen 17 bis 27 kWh pro 100 km bei zügiger aber gelassener Fahrweise. Wer dann jedoch die Grenze überquert, eine halbwegs freie Autobahn erwischt und den VW laufen lässt, muss mit Werten um die 40 kWh kalkulieren. Und erreicht enorm hohe Schnitte, auch weil der 4MOTION selbst im oberen Geschwindigkeitsbereich noch deftig zulegt. Jedoch verdunstet die Reichweite dann rasch. Der heißblütige VW wird, eine gewisse Reserve eingerechnet, nach deutlich weniger als 200 km zur Ladesäule gerufen. Dort zieht der VW mit einer Maximalleistung von 185 kW kräftig Strom. Sofern er sich die Säule nicht mit einem zweiten Stromer teilen muss. Schon ist’s vorbei mit dem tollen Autobahnschnitt.


Die Zeit an der Ladesäule lässt sich für einen Blick in den Laderaum nutzen. Hier zeigt der ID. Buzz Cargo wie gehabt einige Schwachstellen. Den seitlichen Schiebetüren fehlen einige wenige Zentimeter fürs Palettenmaß von 800 mm. Hinten sind die stacheligen Aufsteller nicht zeitgemäß, auch gibt es schönere Lösungen für die Scharniere der Flügeltüren. Bei lediglich 1.230 mm Abstand zwischen den Radkästen muss der Staplerfahrer einen guten Tag erwischen, damit er die Europalette quer ungeschrammt hineinmanövriert. Der Antrieb im Heck hievt den Ladeboden arg hoch auf rund 620 mm. Älteren Semestern fällt da prompt der gute alte Transporter T3 ein, Stichwort Flachmotor. Das alles kostet Platz, einschließlich des typischen Rundrückens.


Entsprechend packt der Laderaum nur 3,9 m³ Fracht. Immerhin ein ehrlicher Wert, im Unterschied zu manchem Wettbewerber. Wenn’s schon keinen langen Radstand gibt, wäre wenigstens eine Klappe unten in der Trennwand zur Verlängerung des Ladeabteils praktisch. Mit der Nutzlast ist es ebenfalls nicht zum Besten bestellt. Zwar hat VW inzwischen die zulässige Gesamtmasse von 3,0 auf 3,15 t angehoben. Doch das frisst hier der Allradantrieb wieder auf. Ergebnis sind rund 600 kg Nutzlast für Fahrer und Fracht, für einen Transporter etwas peinlich. Auch die knappen Achslastreserven unterstreichen die Grenzen des Konzepts.


Die positiven Seiten seien nicht verschwiegen. Da wäre das Fach fürs Ladekabel im Boden hinter der Schiebetür rechts. Die kräftige LED-Beleuchtung oben und unten der markentypisch stabile Boden mit ebenso stabilen Zurrösen und integrierten Airlineschienen als Ladungssicherung. Sie fanden sich beim Testwagen ebenfalls an der Stirnseite sowie seitlich links und rechts, ergänzt durch Stautaschen. Auch praktisch: Verbandszeug in der Seitenverkleidung, Warndreieck in der Hecktür. Schließlich darf der 4MOTION 1,8 t ziehen, deutlich mehr als die schwächeren Geschwister, einschließlich passendem zulässigem Gesamtzuggewicht.


Weiter vorn blickt der Fahrer weiterhin auf das typische VW-Mäusekino mit seinen teils sehr kleinen Anzeigen und kommandiert die Fahrtrichtung per platzsparendem Bedienknubbel. Im mittigen Touchscreen kann der Steuermann diverse Funktionen einstellen, etwa Fahrmodi oder Assistenten. Sie arbeiten markentypisch mehrheitlich zuverlässig. Auch Ladefunktionen sind vielfältig und tiefgründig dargestellt. Ans dezente babyhafte Glucksen bei Abweichungen vom rechten Pfad gewöhnt man sich schnell. Auffällig: Trotz Zusatzmotor vorn brilliert der ID. Buzz mit einer extrem leisen und somit gepflegten Gangart. Ein dezentes Pfeifen vorn ist mehr zu erahnen als zu hören. Wer zur Verzögerung die kräftige Stufe „B“ nutzt, spürt die Kraft des E-Antriebs in umgekehrter Richtung, die Rückgewinnung an Energie ist hoch, die zweistellige Anzeige reicht dafür nicht aus – Vorteil des kräftigen Antriebs, der dann als Generator arbeitet.


Auch weitere Details überzeugen. Die Ablagen einschließlich der großen Wanne vor den Armaturen, die zahlreichen Steckdosen aller Art. Auch vermeintlich so simple Dinge wie Kleiderhaken. Verblüffend indes, dass VW die anderswo längst üblichen Vorzüge der Doppelsitzbank nicht nutzt: Ausbildung der Polsterung als Einzelsitze, innere Rückenlehne vorgeklappt als Tisch, als Ablage? Fehlanzeige. Die Materialien haben, nun ja, Transporter-Niveau, passt schon. Decken wir den Mantel des Schweigens über die verirrte Bedienung für wesentliche Funktionen per Touchscreen, auch die Touchflächen des Multifunktionslenkrads. Und die Sicht ist so lala, das weit nach vorn gezogene Dach hindert den Blick auf Ampeln, der rechte Spiegel hinterlässt einen toten Winkel.


Ist halt so, der einzigartige ID. Buzz Cargo ist zwar rund geformt, aber in seinem Charakter ein Transporter mit reichlich Ecken und Kanten. So sind sie, die Stars, ein paar Allüren gehören dazu. Wer sich darauf einlässt, kann damit glücklich werden. Alle anderen sollten zum neuen VW Transporter greifen. Man kann’s auch so sehen: Der ID. Buzz Cargo Pro 4MOTION ist für einen Transporter extrem sportlich motorisiert. Und bietet für einen Sportwagen enorm viel Nutzlast und Laderaum.



Messwerte


Beschleunigung:

0–50 km/h 2,4 s

0–80 km/h 4,2 s

0–100 km/h 5,8 s


Elastizität (Kickdown):

60–80 km/h 2,1 s

60–100 km/h 3,8 s

80–120 km/h 4,0 s


Höchstgeschwindigkeit:

160 km/h


Innengeräusche:

Stand/50/80/100 km/h: –/55/58/62 dB(A)

Höchstgeschwindigkeit: 68 dB(A)


Kraftstoffverbrauch:

Normverbrauch WLTP: 20,4 kWh/100 km

CO2-Emission kombiniert: 0 g/km

Teststrecke beladen: 25,2 kWh/100 km

Testverbrauch beladen min./max.: 17,4–43,8 kWh/100 km

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