Test: MAN TGE mit Humbaur-Koffer. Die Alternative zum beliebten Kastenwagen heißt Koffer.
Das hat seinen Reiz, zumal wenn er aus einer Hand kommt. Also: Koffer statt Kasten?
Humbaur – das sind doch jene mit den vielen Anhängern für Pkw und Transporter? Gewiss, längst aber auch die mit den Aufbauten. Und mit Durchsetzungsvermögen und Zähigkeit. Deshalb sind die Humbaur-Koffer inzwischen von allen namhaften Transporterherstellern zertifiziert und auf dem Rücken des MAN TGE sogar als Einrechnungsfahrzeug lieferbar.
Zäumen wir das Pferd – oder den MAN-Löwen – also von hinten auf. Das Erscheinungsbild des gut 4 m langen Koffers ist zweifellos wuchtig, doch Optik kann täuschen. Wer mit einem TGE-Kastenwagen das Volumen von 17,7 m³ des Koffers erreichen will, muss zur Maximalvariante des Kastens greifen. Und die ist knapp 0,5 m länger, gerade mal 4 cm schmaler, indes rund 30 cm niedriger. Schluckt dann angeblich 18,4 m³, was jedoch angesichts der Wölbung der Wände sowie der störenden Radkästen optimistisch klingt. Klare Verhältnisse schafft das Palettenmaß: Der Koffer, gebaut nach dem Schokoladenmotto „quadratisch, praktisch, gut“, fasst acht, der Kasten mit deutlich mehr Mühe beim Beladen nur sechs der Ladungsträger. Keine Frage – mit dem Koffer kann man einpacken.
Nur Geduld muss man mitbringen und Hinweise ernst nehmen, jedenfalls bei Wahl der Ladebordwand: Wer zusammen mit einer sehr gewichtigen Palette den Hubwagen nach oben fahren will, scheitert: 750 kg Belastungsgrenze der Bühne sind bei Dhollandia eben 750 kg, mehr geht nicht. Auch nicht ein schlanker Bediener. Er nutzt bei der Fahrt hinauf oder hinab unverwechselbare, wenn auch kleine Trittflächen der Fußbedienung.
Zum Koffer gehört ganz typisch die Freiheit der Ausstattung. Siehe Ladebordwand, sie ist von vier Anbietern lieferbar. Beim Be- und Entladen höchst flexibel, aber schwer, auch teuer und hier langsam – in Zeitlupe schwenkt sie beim Öffnen nach hinten. Also je nach Fracht doch die serienmäßigen Heckflügeltüren? Fix zu bedienen, leicht und günstig. Verknüpft mit dem serienmäßigen Tritt, einer vierstufigen ausziehbaren Treppe oder einem wagenbreiten Heckauftritt. Er verlängert zwar die Fuhre, halbiert indes die Beladehöhe von leer knapp 1 m. Sie ist der große Nachteil des Koffers, sofern das schnelle Rein und Raus im Mittelpunkt des Einsatzes steht.
Ansonsten lässt sich beim Koffer in Varianten schwelgen: Oben ein isoliertes Dach statt durchscheinendem GfK? Seitlich durchlaufende LED-Lichtleisten? Eine Seitentür oder Nadelfilz-Verkleidungen? Unten ein rutschfester oder glatter Boden anstelle der Siebdruckplatte? Dazu steht die ganze Riege der Ladungssicherungen auf der Speisekarte: Serienmäßig sind links und rechts jeweils vier Zurrösen an Bord. Zusätzlich gibt es Airline- oder Ankerschienen oder integrierte Stäbchen-Zurrleisten. Irgendwoher muss Humbaur die Bezeichnung Flexbox für seinen Koffer schließlich haben.
Vorsicht: Zubehör geht ins Gewicht, also statt Stahlbeplankung eine Deckschicht aus GfK wählen und nach Möglichkeiten die Hecktüren. Schon landet der Koffer im Serientrimm bei etwa 430 kg. Überraschung: Trotz Hilfsrahmen und separatem Aufbau erreicht der MAN TGE dann eine vergleichbare Nutzlast wie der schlankere selbsttragende Kastenwagen. Was auch für Koffer anderer Fabrikate gilt: Mit Scheuerleisten, Stirnwand-Rammschutz und einer Doppelreihe Zurrschienen aus dem MAN-Paket im Einrechnungsgeschäft nennt Humbaur knapp 500 kg.
Sofern die Kombination aus MAN und Koffer sich nicht nur um den Kirchturm bewegt, sollten Käufer unbedingt den Windleitkörper auf dem Dach des Fahrerhauses ordern. Denn trotz abgerundeter Kanten bleibt der hohe Koffer eine Windbremse. Das bügelt der hier löwenstark mit 130 kW (177 PS) motorisierte TGE zwar einigermaßen weg, indes nur auf Kosten des Verbrauchs. 12,5 l schluckte der Testwagen auf der anspruchsvollen Hausstrecke der Redaktion, wie immer beladen, besonnen, aber auch beherzt gefahren. Geprägt von einer Besonderheit: MAN regelt den Koffer vernünftigerweise auf 120 km/h ab. Also heißt es auf den beiden Autobahnetappen 85 und 120 km/h statt des gewohnten flotteren Tempos. Macht bei der schnelleren Fahrt trotzdem einen Spritverbrauch von 17,3 l/100 km. Klarer Fall: her mit dem Spoiler. Er dürfte auch die Windgeräusche deutlich senken, die oben ohne ab etwa 80 km/h erheblich ansteigen. Ebenso sollten sich die Fahrleistungen spürbar verbessern. Trotz maximaler Motorisierung wirkt der wuchtige MAN oberhalb von 80 Sachen etwas gehemmt.
Dabei arbeitet der Zweiliter-TDI – wie der TGE insgesamt ein VW-Produkt – zwar nicht laut, im TGE aber recht lärmig. Hinzu kommt eine Unart: Fällt die Drehzahl unter etwa 1.400 Touren, dann rumort’s vorne unter der Haube, auch durchziehen leichte Vibrationen das Cockpit. Spürbar wohler fühlt sich die Maschine bei mittleren Drehzahlen, dann läuft sie motiviert, recht ruhig und zeigt den Biss, der angesichts der üppigen Leistung zu erwarten ist. Kurze Übersetzungen für den ersten und den Rückwärtsgang gewährleisten sicheres Anfahren, auch beladen an Steigungen. Einmal in Fahrt gekommen, steht der Motor des TGE bei Tempo 100 im sechsten Gang mit 2.000 Touren voll im Saft. Wenn da nicht der bremsende Koffer wäre – aber das hatten wir schon.
Auch eine Etage tiefer ist der TGE gut aus- und damit auch aufgelegt. Leer fährt er sich stramm, aber nicht hart, trotz eines verstärkten Stabis und Zweiblatt-Parabelfedern an der Hinterachse. Beladen segelt er komfortabel über die Straße, reagiert allein harsch auf kurze Bodenunebenheiten. Der lange Radstand sichert einen guten Geradeauslauf, führt im Gegenzug jedoch zu einem Wendekreis von Supertankerformat. Ein Plus des TGE sind seine Reserven: Mit 1.800 kg zulässiger Achslast vorn und 2.100 kg hinten ist er gegen ungleichmäßige Fracht gewappnet – siehe die Testbeladung mit der einsamen, aber sehr gewichtigen Palette Schnellbeton unmittelbar vor der Hinterachse. Der Rücken des TGE bleibt bei dieser Vollauslastung ungebeugt, die Ladekante senkt sich nur um wenige Zentimeter. Zusammen mit der straffen Lenkung entpuppt sich der Transporter somit trotz seines hohen Kofferaufbaus als ausgesprochen angenehmer Geselle.
Dazu trägt auch das durchdacht eingerichtete Cockpit bei. Die Längsverstellung des Fahrersitzes genügt selbst Fahrern im Format von Basketballspielern. Und dank der zurückhaltend geformten Mittelkonsole lässt es sich auch auf dem inneren Platz des Beifahrer-Doppelsitzes gut aushalten. Drumherum gibt es sympathisch viele Ablagen, eine üppige Sitztruhe, auch Steckdosen und einen Schlitz fürs Mobiltelefon. Instrumente und Bedienung sind klassisch: bestens ablesbare Uhren, Drehregler für die Klimatisierung, sinnvolle Tasten einschließlich der Aktivierung der Ladebühne und in der Mitte ein Display ohne tief verschachteltes Menü – es hat Vorteile, dass der TGE ein halbes Dutzend Jahre auf dem Buckel hat und ihn daher manche Bedienungstorheit des VW-Konzerns noch nicht erreicht hat. Das trifft auch auf das Multifunktionslenkrad zu – es trägt klar rastende Tasten statt ominöser Tastflächen für ausrastende Fahrer.
Über alle Kritik erhaben sind ebenfalls die Qualität und Verarbeitung der verwendeten Materialien. Nur unterhalb des Fahrerhauses im Bereich des Originalrahmens ist jemand etwas wüst zur Sache gegangen, da sieht’s unter dem Lack grob gespachtelt aus.
So zieht der MAN TGE zur Freude seines Fahrers gelassen seine Bahn, und zur Freude seines Eigners mit einem Kofferaufbau, mit dem sich im Vergleich zu einem schnittigen Kastenwagen viel anfangen lässt. Eben ein Transporter mit Ecken und Kanten – hat was.
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