Fahrbericht: Renault Master. Neu eingekleidet, neue Technik, neu ausgestattet – der große Transporter von Renault erreicht ein neues Niveau.
Draußen klettern die Temperaturen auf mehr als 25 °C. Im Cockpit des Renault Master müsste jetzt „Summer Wind“ von Frank Sinatra aus den Lautsprechern säuseln. Wegen der Temperaturen. Und weil Renault den neuen Master trotz dessen hoch aufragender Nase als Aerovan bezeichnet. Der Luftwiderstand des aerodynamsch optimierten Transporters soll um 20 % niedriger liegen als beim Vorgänger und Rekordwerte erreichen. Ist das wichtig? Aber ja: Daraus resultiert ein spürbar geringerer Energieverbrauch. Die Stromer namens Master E-Tech Electric fahren weiter und emittieren Diesel wegen des günstigen Kraftstoffverbrauchs lediglich um 200 g CO2/km, daher fällt bei der Anschaffung der NoVA-Zuschlag erheblich geringer aus als bei Wettbewerbern. Das dreht sich immerhin um einen vierstelligen Betrag. Und nach der Beschaffung fallen die Tankstopps günstiger aus.
Wer genau hinschaut, entdeckt die Details der Aerokarosserie. Die Windschutzscheibe steht sehr schräg. Unten wird die Luft durch Schlitze vorbei an den Rädern geführt. Das Dach der Kastenwagen ist gewölbt und die Seitenwände sind hinten eingezogen. Wie beim Vorgänger verjüngen sich die Wände nach oben deutlich. Vorteil der Operation sind außerdem ein flotteres Maximaltempo und niedrige Windgeräusche. Bei den leisen Elektrikern rücken mangels Dieselnageln und Wind andere Störenfriede in den Vordergrund, hier ein paar Poltergeräusche. Laut Renault hat die Aeroform keinerlei Nachteile. Indes fällt beim Vergleich der Daten das etwas schlankere und flachere Heckportal auf.
Maße sind wichtig beim Master, denn Renault hat ihm eine neue Architektur und damit andere Proportionen verliehen. Die 5 m-Kurzausgabe ist entfallen. Der Radstand schrumpfte in den beiden verbliebenen Längen des Fronttrieblers um jeweils rund 100 mm. Gleichzeitig wuchsen die Überhänge vorn und hinten, nahm die Gesamtlänge ein wenig zu. Das ergibt für die Hochdach-Kastenwagen von 5,68 und 6,32 m ein Plus von jeweils einem halben Kubikmeter Ladevolumen auf recht optimistische Werte von 10,8 und 13,0 m³. Hinzu kommt ein deutlich verringerter Wendekreis, minus 0,8 m beim kleineren, sogar 1,6 m beim größeren Modell. Ursache ist neben den kürzeren Radständen eine neue Vorderachse mit einem größeren Einschlagwinkel der Räder. Trotz seines Wachstums soll der Diesel-Master nur etwa 40 kg zugenommen haben. Das hieße in Serienausstattung knapp mehr als 2 t Leergewicht und eine höchst anständige Nutzlast. Auch für Fahrgestelle. Aus- und Aufbauer profitieren davon. Sie können Bedienelemente in den berührungsempfindlichen Bildschirm integrieren und beim Master E-Tech Electric die Traktionsbatterie mit bis zu 3,5 kW anzapfen, ebenso Handwerker mit E-Werkzeugen.
Wenn rund um den Master von Wind die Rede ist, dann geht’s beim Fahrerhaus sogar stürmisch zu. Pfiffig sind die seitlichen Getränkehalter als Haltegriffe zum Einsteigen. Drinnen gibt es reichlich Platz. Auch geht es wohnlich, ja geradezu gemütlich zu. Der Stoffbezug der bequemen Sitze erinnert an das heimische Sofa. Warme Stoffe an der Decke sowie der Trennwand wirken heimelig, die Materialqualität ist angemessen.
Kleinigkeiten aber sind im nagelneuen Master von gestern. Da wäre ein herkömmlicher Zündschlüssel. Auch der lange Handbremshebel hat anderswo ausgedient. Beides gehört zusammen mit den Türgriffen zu den ganz wenigen Übernahmeteilen vom Vorgänger. Komplett neu ist die Aufteilung des Cockpits mit der fahrerbetonten Mittelkonsole. Hier soll, so heißt es, ein Truck-Fan unter den Designern entscheidend gewirkt haben. Das serienmäßige 10"-Display – drin steckt u. a. Google – ist prima integriert und dem Fahrer zugeneigt, ebenso die Schalterleiste unmittelbar darunter sowie die übersichtlichen Klimatisierungsregler. Gleich in der Nähe findet das Smartphone seinen induktiven Ladeplatz. Ebenso einfach handzuhaben sind die Drucktasten in den Lenkradspeichen. Drumherum versammeln sich in unterschiedlichen Ausbaustufen jede Menge Ablagen bis zur Schublade vor dem Beifahrer. Zwei Gesichter zeigen die Armaturen: klassische, perfekt ablesbare Uhren beim Diesel, ein farbiges Display mit gewöhnungsbedürftigen Anzeigen im Elektriker.
Nun aber los, zunächst im vollelektrischen Master E-Tech Electric. Renault bietet zwei Varianten an. Da wäre die Kurzstrecken-Ausführung mit 40 kWh-Batterie und E-Motor mit 96 kW Leistung und 300 Nm Drehmoment. Geladen wird an der Wallbox mit 11 kW oder am Schnelllader mit maximal 50 kW. Größere Stückzahlen verspricht sich Renault von der Vollwert-Ausführung. Merkmale: 87 kWh-Batterie, 103 kW Motorleistung, identisches Drehmoment, Schnellladeleistung bis 130 kW.
Diese Technik steckt im ersten Testwagen, der damit trotz einer 400 kg schweren Palette im Laderaum eine gute Figur macht. Der E-Motor pfeift dezent sein Liedchen. In der Eco-Stufe ist bei Tempo 90 Schluss, was sich per Kickdown überspielen lässt. Die Fahrtrichtung wird per Lenkstockhebel vorgegeben. Zwei Rekuperationsstufen stehen zur Wahl, der Master verzichtet dabei auf extreme Segel- oder Ein-Pedal-Modi. Unterwegs benimmt er sich sehr verträglich. Die Federung spricht sanft an, die Lenkung trifft das richtige Maß aus Präzision und notwendiger Kurbelkraft. So lässt es sich arbeiten, und auch die bunten Instrumente verlieren irgendwann ihren Schrecken.
Umstieg in den Diesel, zunächst ein Kipper mit gut 800 kg Nutzlast. Das Fahrwerk erscheint strammer, das passt zum härteren Job auf dem Bau. Renault hat die Verbrenner gewechselt, an die Stelle des rustikalen 2,3-Liters ist der weit feingliedrigere Zweiliter aus dem Trafic getreten. Er steht in vier Leistungsstufen von 77 kW (105 PS) über 96 kW (130 PS) und 110 kW (150 PS) bis 125 kW (170 PS) zur Verfügung. Das maximale Drehmoment unterscheidet sich nur geringfügig, die Spanne reicht von 330 bis 380 Nm. Die kompakte Maschine trägt zur versprochenen Verbrauchsreduzierung bei, auch zur geringen Gewichtszunahme. Jedoch ist dem Diesel – hier bereits die zweitstärkste Stufe – der Ballast auf dem Rücken gar nicht recht. Er scheut niedrige Drehzahlen, kann auch mit höheren Touren wenig anfangen. Zusätzlich hat Renault die Gesamtübersetzung mit 1.500 Touren bei Tempo 100 arg lang ausgelegt. Gegenprobe mit einem Kastenwagen und Topmotorisierung: Der Eindruck bleibt, der kompakte Diesel wirkt zugeschnürt. Auf die Sprünge helfen könnte ihm womöglich das angekündigte Neungang-Automatikgetriebe von ZF. Das anfangs allein verfügbare Sechsgang-Schaltgetriebe schafft es nicht. Vorsicht Langbeiner: Beim Tritt auf die Kupplung bekommt das Schienbein Kontakt mit der Armaturentafel. Zur Absicherung der Fahrt fahren reichlich Assistenzsysteme mit, jedoch fehlt zurzeit noch ein Querverkehrswarner für die Rückwärtsfahrt.
Bleibt die Preis-Frage, mit einer Antwort tat sich Renault bis zum Redaktionsschluss noch ein wenig schwer. Für die Dieselmodelle stehen die Tarife fest, es geht netto mit 31.800 Euro los. Plus dem vergleichsweise moderaten NoVA-Aufschlag. Das gibt dem Renault Master Rückenwind. „Blowin’ in the Wind“, um es mit Bob Dylan zu formulieren.
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