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Der Feld-, Wald- und Wiesen-Sprinter

Test: Mercedes Sprinter 319 CDI 4x4. Neuer Allradantrieb, kräftiger Motor und 9 Gang-Automatik – eine vielversprechende Kombination.


Mercedes-Benz Sprinter

Der geschotterte Waldweg hat eine deftige Steigung. Langsam schiebt sich der Sprinter rückwärts hinein. Kurz anhalten, dann kräftig aufs Gas – für einen Sekundenbruchteil scharren die Hinterräder, dann schaltet sich unmerklich der Vorderradantrieb zu, die vier Reifen verzahnen sich mit dem Untergrund, der Transporter schiebt sich souverän hinauf. Das gleiche Experiment gelingt Minuten später auf feuchtem Asphalt plus reichlich rutschigem Belag sowie annähernd 100 % Steigung. Fußgänger haben hier Mühe, Radfahrer steigen ab – der Sprinter fährt. Mühelos und sogar mit moderater Drehzahl. Und wer mit sensiblem Gasfuß arbeitet, vermeidet sogar das kurze Scharren der Hinterhufe.


Mercedes spricht von „Torque on Demand“ – gemeint ist ein Verteilergetriebe mit Haldex-Lamellenkupplung, sie verteilt die Kraft im Unterschied zur bisher starren Verteilung des Allrad-Zulieferers Oberaigner variabel zwischen den Achsen. Die neue Technik stammt aus dem üppigen SUV Mercedes GLE, dessen Statur und Gewicht gar nicht so weit von einem Sprinter entfernt sind. Was dort funktioniert, das sollte auch dem Sprinter passen. Dass während der Übertragung vom SUV zum Van die Wahl zwischen verschiedenen Fahrprogrammen verschwunden ist, schert Sprinter-Eigner kaum. Harte Geländefahrer schon eher, dass es auch gegen Geld und gute Worte weder mechanische Sperren noch eine zuschaltbare Untersetzung gibt. Punkt eins muss die elektronische Kraftverteilung zwischen Achsen und Rädern regeln, Punkt zwei das deftige Drehmoment von 450 Nm über einen sehr breiten Drehzahlbereich sowie – dann vorwärts – das weit gespreizte 9 Gang-Automatikgetriebe.


Ergebnis ist ein milder und kein wilder Allradantrieb. Er bringt den Monteur mit seinem Werkzeug zum Windrad, den Arbeitstrupp mitsamt Material zur Baustelle – und alle auch wieder retour. Dabei hilft eine deftige Höherlegung von 110 mm vorn und 80 mm hinten, mit hochbeiniger Optik angesichts der 16"-Bereifung. Generell ist das Fahrwerk mit Dreiecks-Querlenkern und Querblattfeder vorn sowie Starrachse mit Zweiblatt-Parabelfedern hinten identisch. Das führt Sprinter-Kenner zum richtigen Schluss: Der 4x4 basiert auf dem stämmigen Modell mit angetriebener Hinterachse, nicht auf dem Bruder Leichtfuß mit Vorderradantrieb wie anderswo. Daraus resultieren dann auch schwere Jungs bis 5,5 t zulässiger Gesamtmasse.


Für jene, die alles ganz genau wissen wollen: Zusammen mit dem Allradantrieb sprießt die Steigfähigkeit um nicht näher bezifferte 20 %, mit der Höherlegung die Wattiefe auf 610 mm, die Böschungswinkel beim Pritschenwagen auf 26,5° vorn und 18,8° hinten, der Rampenwinkel mit mittlerem Radstand auf 22,1° und die Bodenfreiheit auf 210 mm. Aber auch der Einstieg wächst. Knapp 60 cm für die erste Stufe hinauf ins Fahrerhaus, das verlangt nach einem gewissen Format der Schrittlänge, nicht zu eng geschnittenen Beinkleidern und einem beherzten Griff ans Lenkrad, denn die optionalen Zusatzhaltegriffe sind an der Tür falsch platziert. Obacht auch beim Aussteigen, sonst ist die Landung hart.


Hoch oben im Cockpit ist dann alles wie vom Sprinter gewohnt. Da wäre das etwas düstere Erscheinungsbild, viel Platz, eine hohe Materialgüte und eine gekonnte Verarbeitung. Beim Einschalten der Zündung zwinkert im Mittendisplay ein stilisierter Sprinter freundlich mit den Scheinwerfern, schnellen die Zeiger der übersichtlichen Instrumente einmal kurz bis zum Anschlag. Der Fahrersitz ist auf Wunsch vielfach verstellbar und auch bei längeren Einsätzen sehr bequem. Elektronische Feststellbremse links und Automatik-Wählhebel rechts vom Lenkrad sind bekannte Größen, praktisch und sparen Platz. Kosten indes wie so vieles an Bord auch Geld, vor allem die Pflicht-Automatik ist beim Preisvergleich mit dem Vorgänger zu berücksichtigen. Auch ohne Zwangskombination wäre sie allemal eine Empfehlung, denn sie nimmt dem Fahrer vor allem im Offroad-Betrieb Entscheidungen ab, schaltet flauschig-weich und hält dank großer Auswahl immer die passende Stufe bereit. Die Technik verheddert sich auch nicht beim Durchqueren von Kreisverkehren oder beim schnellen Wechsel zwischen Bremse und Gas.


Allradantrieb heißt beim Sprinter jetzt durchweg Maximalmotorisierung mit 140 kW (190 PS). Damit tritt der Transporter vehement an, doch ohne pubertäres Krakeelen: Beim Anfahren startet er als 4x4er, um dann unmerklich in den 4x2-Modus zu wechseln. Die beeindruckende Leistung müsste bei einem 3,5-Tonner nicht unbedingt sein, erhöht aber unter schwierigen Bedingungen die Souveränität, auch mit Blick auf die mögliche Anhängelast. Dank seiner üppigen Kraftreserven meistert der beladene Sprinter 4x4 die obligatorische Verbrauchsrunde gelassen. Die Autobahnetappe entfällt diesmal, dort hat ein Allrad-Pritschenwagen nichts zu suchen. Stadt- und Überlandfahrt ergeben im Mix 11,2 l/100 km, damit lag der Testwagen trotz Leiterträger als Aero-Bremse sogar deutlich unter den Normwerten. Indes gelten für diese Art von Transporter im übertragenen Sinne andere Gesetze: Es kommt mehr denn je auf den individuellen Einsatz an, hier steht die Problemlösung an erster Stelle, auch wenn die Schnittverbräuche dann Richtung 15 oder 18 l/100 km wachsen. Der Aufbau treibt allerdings die Anschaffungskosten drastisch in die Höhe. Von Haus aus liegt der Pritschenwagen im Vergleich zum Kastenwagen netto rund 2.000 Euro günstiger. Ein Verbrauch von 15,0 statt 12,3 l/100 km nach Norm und entsprechend höhere CO2-Emissionen treibt jedoch die ohnehin hohe NoVA-Abgabe noch einmal drastisch in die Höhe. Als hätten Unternehmen für ihre Transportaufgaben die Wahl – ein großes Ärgerthema.


Eine Etage unterhalb der Maschine markiert das Fahrwerk vor allem bei Leerfahrten eher den harten Hund als die gewohnte Schmusekatze. Unmissverständlich teilt der Sprinter 4x4 den Fahrbahnzustand mit, wie eigentlich eher von deutlich höheren Gewichtsklassen gewohnt. Auch mit einer Tonne Ballast auf dem Rücken verwandelt sich der Transporter nicht in ein Weichei. Was abseits frisch gebügelter Straßen passt, ist auf gepflegtem Untergrund für Sprinter-Kenner zunächst irritierend. Gleiches gilt für das Kurvenverhalten: Der höhere Schwerpunkt des 4x4 wandert beim beladenen Pritschenwagen noch weiter nach oben. Zusammen mit der hohen Sitzposition zähmt dies eventuellen Übermut schnell – vor dem obligatorischen ESP-Eingriff zähmt bereits der variable 4x4-Antrieb eventuelle Rabauken. Achtung: Auch Rangiermanöver sind mit Bedacht einzuleiten, der zusätzliche Vorderradantrieb begrenzt den Radeinschlag und vergrößert den Wendekreis um einen Meter.


Gepflegt ist der Pritschenaufbau des Allradlers. Mercedes lässt sich vom italienischen Spezialisten Scattolini eigens gewellte statt geriffelte Aluminium-Bordwände liefern. Das sieht eleganter aus und ist reinigungsfreundlicher. Diese Bordwände fallen beim Öffnen leise und materialschonend auf Gummiblöcke. Die acht versenkten Zurrösen sind gummigelagert. Die optionalen Werkzeugboxen unter der Ladefläche lassen sich per Vorhängeschloss verriegeln. Mit eingehängtem Verschlussbügel im halb geöffneten Deckel ist der Inhalt gut zugänglich und kann trotzdem nicht herausfallen.


Generell aber passen die Pritsche mit einer Innenbreite von 2.040 mm und der Sprinter 4x4 bestens zusammen – mit dem schlanken Aufbau wühlt sich der Feld-, Wald- und Wiesen-Transporter problemlos durchs Gelände, verbreiterte und somit stets gefährdete Außenspiegelarme sind nicht nötig. Der Mercedes ist kein Allesüberwinder, aber ein enorm tüchtiger Transporter für anspruchsvolle Einsätze – nicht nur rückwärts auf Schotterpisten.



Messwerte


Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h


Kraftstoffverbrauch:

Normverbrauch WLTP: 11,8–19,4 l/100 km

Normverbrauch kombiniert: 15,0 l/100 km

CO2-Emission kombiniert: 394 g/km

Teststrecke beladen: 11,2 l/100 km

Testverbrauch min./max.: 10,1–18,0 l/100 km

Testverbrauch AdBlue: nicht messbar





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