Opel Vivaro-e Enjoy. Temperamentvoll, angemessene Reichweite, verblüffend günstig.
Die Ölfässer lässt der Opel Vivaro-e links liegen, der Stromer fährt lokal emissions-frei ohne fossile Treib- und Schmierstoffe.
Jetzt kommt Freude auf, denn der Vivaro-e mit gehobener Ausstattung trägt in Ös-terreich die Zusatzbezeichnung Enjoy. Der Opel grinst dazu mit seinem freundli-chen Kühlergrill, zeigt Chromzähnchen und zwinkert mit dem Tagfahrlicht. Im Moment schleicht sich der batterie-elektrisch angetriebene Transporter bei Joe’s Carwash an. Das klingt nach bol-lernden V8 und bärtigen Männern in großkarierten Hemden, die sich auf ein Feierabendbier treffen und hingebungs-voll ihre sehr großen Autos mit sehr gro-ßen Motoren wienern. Der Opel aber lässt die dekorativen Ölfässer der Station in jeder Beziehung links liegen. Verkehrte Welt? Von wegen: V8 war gestern, hier summt die automobile Zukunft. Dieser Transporter hat das Zeug, diese Zukunft in seiner Liga einzuläuten.
In seinem Heck steckt gerade eine Palet-te mit einer Dreivierteltonne Schnellbeton – „schütten – gießen – fertig“. Die Kas-tenwagen-Doppelkabine in Größe M sieht mit sanft gerundeten Formen, weißem Lack, abgedunkelten Scheiben im Fond und einer Prise Chrom nicht nur elegant wie ein Van aus, sie ist ein vielseitiger Nützling. Im Mannschaftsraum kommt ein Trupp von sechs Leuten unter. Der Frachtraum dahinter ist sorgfältig verklei-det und nimmt 3,2 Kubikmeter Werkzeug und Material auf. Nicht genug? Dann passt die 35 Zentimeter längere L-Ausgabe. Der rechte Sitz im Fond kann unterladen werden, unter den beiden lin-ken Sitzen ist ebenso Stauraum für Ge-päck wie in der offenen Ablage auf der Stirnseite. Ein paar Verbesserungsvor-schläge: eine sichere Verriegelung der geöffneten Schiebetüren, LED-Innenbeleuchtung, besser einrastende Aufsteller der Heckflügeltüren, weil sonst der Fahrer auch mal ausrastet.
Lästiger Alltagskleinkram, hier geht es um das große Thema Elektromobilität. Der Vivaro-e definiert – zusammen mit seinen baugleichen Konzernkollegen – den Stand der Dinge in seiner Klasse. Unter dem Wagenboden steckt eine Batterie mit einer Bruttokapazität von 75 kWh. 50 kWh gibt‘s auch, das bringt drei Zentner mehr Nutzlast und spart 5000 Euro, kostet aber ein Drittel Reichweite, lohnt also ange-sichts eines vergleichsweise niedrigen Grundpreises kaum. Mit dem großen Ak-ku dreht Opel den etablierten Anbietern außerhalb seines Konzerns in Preis und Leistung eine Nase, zumal er in Ge-schwaderstärke vom Kastenwagen na-mens Cargo bis zum Kombi in diversen Varianten heranflüstert. Also her mit dem großen Batteriepaket, hinein mit der Fracht, ran an die Wallbox. Denn Wahr-heit ist auf dem Platz, wie die alte Fußbal-lerweisheit sagt. An der Wallbox nuckelt der Opel mit 11 kW, das reicht lässig für eine Vollladung über Nacht in der Firma. An der Schnellladestation futtert, nein schlingt er Strom mit 100 kW. Dann ist ein leeres Akku-Paket nach der Mittagspause wieder zu 80 Prozent gefüllt.
Darüber informieren gründlich die Instru-mente, hinterlegt in Umweltblau. Links der mäßig ablesbare Tacho, rechts das Powermeter mit aktuellen Hinweisen zur abgefragten Leistung oder der Rekupera-tion beim Rollen und Bremsen. Dann wä-re da die Anzeige der Reichweite, des aktuellen Stromkonsums und ein Schau-bild zum aktuellen Stromfluss. Zwei klei-nere Anzeigen nennen den Ladezustand der Batterie sowie den aktuellen Strom-verbrauch der Komfortausstattung. Man merke: Die Klimaanlage kostet über-schaubare, die Heizung viel Energie. Jetzt bleibt beides ausgeschaltet, jetzt ist Verbrauchsfahrt angesagt, bei moderaten Außentemperaturen mit unmoderatem Ballast. Im Display der Mittelkonsole kann sich der Fahrer noch über Verbrauch und Rekuperation der vergangenen Minuten informieren.
Druck auf die Starttaste, der Opel erwacht nach kurzer Pause, Fahrstufe D antippen, also automatisch Normalmodus. Beim Tritt aufs Fahrpedal löst die Feststell-bremse leise ächzend, als müsse sich der Opel erst besinnen. Die erste Etappe führt wie immer über den Rundkurs einer ehemaligen Straßen-Rennstrecke. Zwölf Kilometer, kurz nach dem Start gleich mal 15 Prozent Steigung damit der Opel weiß was heute Sache ist. Kurven, Rolletap-pen, alles drin. Ergebnis: 23,7 kW/h/100 km für den voll auf knapp 3,1 Tonnen ausgeladenen Transporter, gut gemacht. Wie wär’s im Anschluss mit der üblichen Landpartie, gut gewürzt mit Auf und Ab? Über 69 Kilometer rollt der beladene E-Transporter munter. Hält an Steilstrecken mit, das schafft nicht jeder Stromer. Immer gefahren im Normalmodus mit 80 kW/210 Nm. Zur Auswahl steht auf Tastendruck noch Eco (60 kW/190), nichts für volle Fracht. Oder der Powermodus (100 kW/260 Nm) mit vehementem Antritt. Im Alltag unnötig, bei Bedarf wie Überhol-manövern einfacher über Kickdown ab-rufbar. Verbrauch 23,1 kW/h, Respekt. So einem traut man die erlaubte Anhänge-last von einer Tonne allemal zu, auch ei-ne Rarität.
Jetzt heißt es den Opel quälen. Soll er mal die Chromzähnchen im Grill zusam-menbeißen. Ab auf die Autobahn mit dem Stromer, hügelige Strecke. Tempo 120 ist verordnet, sofern erlaubt, aber nicht überall möglich. Macht nach 67 Kilome-tern exakt 29,0 kWh Stromverbrauch im Schnitt. Auch weil die Rekuperation nahe der Nulllinie liegt. Zurück geht es zu-nächst im gestreckten Galopp. Das heißt offiziell 130 und laut dem etwas vorwitzi-gen Tacho 137 Sachen, dann wird abge-regelt. Der Opel ist schneller als andere E-Transportern, rennt somit sehr praxis-nah. Federt sanft, bei Bodenwellen fast zu sanft, verträgt trotz hecklastiger Beladung einen flotten Spurwechsel. Konsumiert 33,5 kWh/100 km bei diesem artfremden Einsatz für E-Transporter. Am Ende der Etappe sind es milde 27,3 kWh als Folge von Tempobegrenzungen.
Und nun endlich wuseliger Stadtverkehr, die Lieblingsaufgabe aller Elektriker. Es folgt das E-Phänomen: Durch Rekupera-tion gewinnt der Opel auf der Gefällestre-cke hinunter in die City mehr Strom, als er verbraucht. Lässig im Verkehr mit-schwimmend, steigt die Reichweite. Nimmt beim Durchqueren der Häuser-schluchten kaum ab. Drumherum brum-men die Motoren, krächzen die Anlasser – der Opel schweigt und lächelt mild. Kämpft sich über eine lange Steigung wieder hinaus. All dies mündet, oha, bei lediglich 17,4 kWh. Das wären bei die-sem besonders artgerechtem Einsatz rund 400 Kilometer Reichweite, Kompli-ment.
Insgesamt hat er somit, einschließlich zweier kurzer Verbindungsstrecken und einer Sicherheits-Zwischenladung, 261 Kilometer mit einem Schnitt von 24,8 kWh zurückgelegt. Mit etwas mehr Courage des Fahrers hätte der Vivaro-e als erster E-Transporter die standardisierte Test-strecke ohne Zwischenstopp geschafft – Hut ab.
Die Kopfbedeckung kann gleich unten bleiben. Nach dem Ausladen der gewich-tigen Palette strecken sich zunächst er-leichtert die Schraubenfedern der Schräglenker-Hinterachse. Im Anschluss zeigt der Opel abermals, was er draufhat. Spurtet temperamentvoll in kaum mehr als zwölf Sekunden auf 100 Sachen. Hängt beim Sprint (Opel Sprint? Für Ken-ner: Da war mal was in den Sechzigern.) trotz weniger maximalem Drehmoment und mehr Gewicht seinen Diesel-Kollegen mit dessen 106 kW (145 PS) mühelos ab. Fährt dabei elektrisch-geschmeidig, nie krawallig. Federt leer stramm, aber nicht überhart. Entpuppt sich wegen seines tiefen Schwerpunkts auf einmal als Kurvenkratzer. Lenkt sich, abgesehen von der Mittellage, maschi-nengleich präzise und sympathisch straff.
Trotzdem ist drinnen nicht alles Gold, was draußen sanft in der Sonne schimmert. Ja, der Fahrersitz ist langstreckentaug-lich, aber auf dem Beifahrer-Doppelsitz geht’s eher knapp zu. Stimmt, die Verar-beitung ist sehr ordentlich, aber die ver-wendeten Materialen sind einfach, die Verkleidungen kratz- und die Polster schmutzempfindlich. Korrekt, die Fenster im Fond sehen schick aus, aber sie dürf-ten wenigstens optional zu öffnen sein. Richtig, es steht eine ganze Reihe Assis-tenzsysteme zur Auswahl, aber andere sind inzwischen weiter und wie wär’s zu-nächst mit anständiger Hardware, also guten Außenspiegeln?
Doch mit all dem kann man sich arrangie-ren. Spätestens nach einer flotten leisen Runde am Steuer und ohnehin beim Blick auf die Preisliste: Mit dicker Batterie steht der mittelgroße Vivaro-e Cargo Enjoy mit netto 39 800 Euro in der Preisliste, die Doppelkabine mit 42 700 Euro. Wer dann beim Dieselkollegen noch kräftige NoVa-Zuschläge einkalkuliert, bei dem kommt trotz des zunächst hohen Preises Freude auf. Schwach werden können womöglich sogar bärtige Männer in großkarierten Hemden mit V8. Der kann ja nach Feier-abend bollern.
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