Fahrbericht: VW ID. Buzz Cargo. Er ist der wahre neue Bulli: knuffige Form, elektrischer Antrieb, großer Fahrspaß, sturmerprobt. Was er kann – und was nicht.
Oben wütet ein Orkan und es schüttet wie aus Kübeln. Unten pflügt der VW ID. Buzz auf teils rüden Straßen unbeirrt durch schwere See, die serienmäßigen LED-Scheinwerfer weit aufgerissen. Seine schrille Tarnung verbirgt nichts, sie schreit vielmehr nach Aufmerksamkeit. Es sind stürmische Zeiten, nicht nur das Wetter betreffend, auch die Antriebstechnik. Mit dem ID. Buzz bricht eine neue Ära an: Er ist der erste Transporter eines Großserienherstellers, der konsequent auf E-Mobilität getrimmt ist.
Das verdankt er der MEB-Plattform (modularer E-Antriebs-Baukasten) von VW. Was für VW ID. 3, 4, 5 und Konzerngeschwister passt, das passt auch dem ID. Buzz Cargo. Mit verstärkter Hinterachse, erklärt Entwicklungs-Chef Kai Grünitz, denn hier fährt ein stämmiger 2,9-Tonner vor. Daher die Riesenräder im Format 18" bis 21", hinten größer als vorn. Ein Hauch von Formel 1, wie die enorme Spurtstärke des Kastenwagens. Pfeilschnell schießt er bei Bedarf dank 150 kW Leistung und 310 Nm Drehmoment von der Ampel los, auf der Autobahn bis zur Höchstgeschwindigkeit von 145 Sachen. Abgeregelt zugunsten der Reichweite, klar. Sie ist dank des Batterieformats von nutzbaren 77 kWh beachtlich. Grünitz deutet optimistisch rund 400 km nach WLTP-Mix an. Hat der E-Motor das Reservoir leergeschlürft, wird mit bis zu 170 kW geladen.
Die erste Proberunde mit Stadt- und Autobahnverkehr bei üblen Bedingungen ergibt einen Schnitt von 25 kWh. Angesichts des Volumens nicht schlecht, der ID. Buzz Cargo ist mit 4,7 m Länge, haarscharf unter 2 m Breite und 1,94 m Höhe stattlich gewachsen. Ganz schön bullig, dieser Bulli. Aber er profitiert von seinem One-Box-Design und aerodynamischer Feinarbeit. Grünitz nennt einen beachtlichen Luftwiderstands-Beiwert von cw=0,285. Dieser Schliff und der E-Antrieb senken auch die Innengeräusche drastisch – trotz Sturmgebraus und klatschendem Regen.
Ohnehin sind die Insassen der Umwelt entrückt. Draußen geht die Welt fast unter, drinnen ist alles gut. Das liegt an der extrem weit entfernten Windschutzscheibe und anschließenden großen Van-Fenstern zwischen den doppelten A-Säulen, an viel Raum rund um den Platz des Steuermanns und markentypisch bequemem Sitz mit großem Verstellbereich sowie der luftigen Armaturentafel mit riesiger offener Ablage oben und schuckelig-kleiner Instrumenteneinheit direkt auf der Lenksäule. Inklusive des Bedienstummels rechter Hand für Fahrtrichtung, Rekuperation und elektronischer Parkbremse alles original ID.4. Zusammen mit der erhabenen Sitzposition erinnert das Cockpit ein wenig an die Flybridge einer schicken Yacht. Weniger flott: Ampeln sind wegen des weit vorgezogenen Dachs kaum zu sehen. Die Materialien sind einfacher als in der Bus-Variante Buzz. Kritik an der komplexen VW-Bedienung per Touch-Bildschirm unterbleibt heute ausnahmsweise.
Dafür folgt eine dezente Verbeugung vor der geschickten Verbindung von neuem Cargo und altem Bulli. Flache Nase, großes Markensignet und ja, auch wieder Heckmotor, jetzt versteckt über der Hinterachse, alles wie vorgestern. Während jedoch einst kräftiger Wind die Heckmotor-Bullis von der Straße pustete, grinst der ID. Buzz Cargo darüber, zieht auch bei Sturm dank 3 m Radstand und ebenso ruhiger wie präziser und direkter Lenkung gelassen seine Bahn. Flankiert von bis zu knapp drei Dutzend Assistenzsystemen, so etwas kannten die Alten mit Heckmotor nicht. Der Park Assist Plus zB merkt sich das Einparkmanöver auf dem heimischen Betriebshof und vollzieht es automatisch nach. Der Travel Assist mit Längs- und Querführung ist ein weiterer Schritt zum autonomen Fahren. Dank Schwarmintelligenz orientiert er sich am Fahrstil anderer Straßennutzer und soll auf sinnlose und mitunter sogar gefährliche Eingriffe bisheriger Systeme verzichten.
Gemeinsam haben Bulli alt und neu die Handlichkeit. Der Neue tanzt mit nur 11 m Wendekreis Pirouetten durch den Stadtverkehr und liegt dank tiefem Schwerpunkt satt auf der Straße. Die Federung reagiert vielleicht ein wenig harsch auf kurze Unebenheiten. Das gibt sich bei Beladung, verspricht Kai Grünitz.
Und da wird’s spannend. 750 kg Nutzlast schleppt der Stromer, wie der Ur-Bulli von 1950. Der Neue darf zusätzlich mindestens eine Tonne Anhängelast ziehen, abhängig von der Modellvariante. Beides kann der T6.1 besser. Und Obacht, trotz geschickter Raumausnutzung mit Unterflurmotor fällt der Laderaum knapper aus als beim aktuellen Transporter. Die offizielle Volumenangabe des Frachtabteils von 4,0 m³ (ID. Buzz Cargo, realistisch) gegen 5,8 m³ (T6.1 Kasten, unrealistisch) ist wegen unterschiedlicher Normen nicht unmittelbar zu vergleichen. Aber die Einzelmaße sind’s.
VW T6.1 Kasten: Länge/Breite Höhe 2.324/1.700/1.410 mm, Ladekante 568 mm, VW ID. Buzz Cargo: Länge Breite/Höhe 2.200/1.700/1.250 mm, Ladekante 623 mm. Ursache der knappen Innenhöhe des Elektrikers: Er ist außen ein paar Zentimeter flacher als sein interner Kontrahent. Hinzu kommt die höhere Ladekante wegen des E-Motors über der Hinterachse. Da VW einen ebenen Boden einzieht, bleibt in Höhe der Schiebetür ein praktisches Fach fürs Ladekabel. Diese Öffnung fällt mit 750 gegen 1.017 mm erheblich schlanker aus – Europalette seitlich hineinschieben funktioniert nicht. Hinten passt’s besser, auch wenn der Abstand von 1.230 mm zwischen den Radkästen trotz großer Wagenbreite nicht üppig ausfällt – dem stehen die mächtigen Räder im Weg.
Zu wenig? Es wird eine Durchlademöglichkeit mit einer Art Katzenklappe in der Trennwand unter dem Beifahrersitz geben. Ansonsten verweist VW auf den guten alten T6.1, denn um ihn zu schützen, bleibt die künftige, etwa 30 cm größere Langausführung des ID. Buzz mit breiterer Schiebetür und bis zu 3,4 t zulässiger Gesamtmasse der Pkw-Ausführung vorbehalten.
Andere Komponenten dagegen sind in Vorbereitung: eine kleinere Batterie mit 52 kWh für Kurzstreckenfahrer im Handwerk und als Postverteiler ebenso wie ein größerer Akku mit mehr als 90 kWh für höhere Anforderungen durch Langstreckler und Anhängereinsatz, darüber hinaus weitere Motorleistungen und Allradantrieb per zusätzlichem Motor an der Vorderachse. Da ist er wieder, der MEB-Baukasten, siehe auch VW ID.4.
Bei den Preisen hält sich VW noch bedeckt. Offizielle Weltpremiere feierte der ID. Buzz am 9. März – nicht zufällig exakt 72 Jahre nach dem Ur-Bulli. Und er war zu diesem Zeitpunkt bereits sturmerprobt.
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