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Leisetreter in der Hafencity

Aktualisiert: 25. Nov. 2019


Fahrbericht: VW e-Crafter. Technik aus dem Golf, gut verpackt im großen Transporter.

VW e-Crafter

Das Kopfsteinpflaster im Hamburger Hafen ist von der rauen Sorte und ähnelt den Menschen, die hier arbeiten: Hart im Nehmen und mitunter ebenso hart im Austeilen. Für Autos und deren Hersteller sind die Quadratkilometer rund um das Wasser mit den rüden Pisten eine Herausforderung. Hier werden die Stoßdämpfer geprügelt und Karosserien durchgewalkt. Noch perfider und mitunter entlarvend ist die Wirkung auf Elektrofahrzeuge: Kein lärmender Diesel über-dröhnt eventuelle Klappereien. Den leise summenden VW e-Crafter stört das nicht, die Wellen und Schläge des Pflasters steckt er klaglos weg.

Doch Stopp, vor dem Start heißt es Türen schließen und anschnallen. Sonst geht nichts im neuen e-Crafter, dann ist der Strom abgeschaltet, der batteriegetriebene Transporter bleibt stur stehen. Laut VW ein Sicherheitsdetail, denn so friedlich und leise wie der e-Crafter los-schnurrt, so leicht könne manche Routine in Vergessenheit geraten. Also anschnallen, Zündschlüssel weiterdrehen, mit dem grünen Schriftzug „Ready“ meldet sich der Stromer fertig zum Start.

Der erfolgt elektrotypisch vehement, eilig prescht der e-Crafter davon: Da die Leis-tung von 100 kW und die 290 Nm Drehmoment nicht mühsam über die Drehzahl aufgebaut werden, sondern vom Start weg zur Verfügung stehen, hat der stämmige Transporter an der Ampel die Nase vorn. Gelassen vor sich hin summend zieht er souverän los und macht es sei-nem Fahrer denkbar einfach: Die Fahrtrichtung wird wie beim Automatikgetriebe über einen Wählhebel an der Mittelkonsole definiert. Auf eine Kriechfunktion verzichtet der e-Crafter, ebenso auf eine Eco-Taste oder die Wahl zwischen Fahrmodi für Fahrten mit wenig Fracht. Die Rekuperation steht generell auf der stärksten Stufe und ist mit dem Fahrpedal verbunden. Wer sich geschickt anstellt, regelt damit nahezu alles, denn der Transporter bremst per Rekuperation bis annähernd zum Stillstand. Die Konzentration liegt also VW-typisch nicht auf dem Auto, sondern auf dem Verkehr und dem eigentlichen Job des Paketboten, Servicetechnikers, Handwerkers oder Mitarbeiter eines Kommunalbetriebs. Für sie alle ist der Transporter nur Mittel zum Zweck. Aber sie können den Lauf der Dinge genau beobachten. Das betrifft die Reichweite und den Ladezustand der Batterie, die zur Verfügung stehende Leistung – sie ist bei großer Hitze und Kälte sowie fast leerem Akku eingeschränkt – und vor allem das Powermeter. Es tritt an die Stelle des Drehzahlmessers und zeigt die aktuelle Leistungsabforderung oder Rekuperation an. Zusätzlich kann der Fahrer über den Monitor in der Mittelkonsole in den Eingeweiden des Menüs eine Darstellung des Energieflusses finden, eine Säulengrafik zum Umfang der Rekuperation oder den dezenten Hinweis, welche Reichweite er mit optimierter Fahrweise im Vergleich zum aktuellen Fahrstil gewinnen kann. Muss man nicht betrachten, erhöht aber den Reiz für aktive Fahrer und gehört hier zu den exklusiven Elementen der Elektromobilität.

Der Antrieb des e-Crafter stammt vom Golf, das Einganggetriebe ist mit einer kräftigeren Verzahnung und kürzeren Übersetzung indes weniger golfig und an die höheren Ansprüche des Transporters angepasst. Das Antriebspaket fertigt VW ebenso im eigenen Haus wie die Batterien. Auch sie sind mit identischer Kapazität von 35,8 kWh bereits im Golf zu finden. Der Stromvorrat ist also überschaubar, laut dem auslaufenden NEFZ-Zyklus soll der Elektriker 173 Kilometer am Stück schaffen, nach dem schärferen und realistischeren künftigen Zyklus WLTP wer-den es wohl um die 140 Kilometer sein. Das reicht für Vieles, aber nicht für Alles, vor allem nicht bei kritischen Wetterbedingungen im Hochsommer und Winter bei deutlich erhöhtem Energieverbrauch.

Deshalb regeln elektronische Heinzelmännchen bei 90 Sachen ab und VW gibt dem e-Crafter in unbekannter Großzügigkeit reichlich Energiespartechnik mit. LED-Scheinwerfer zum Beispiel, Heizung für Sitze und Frontscheibe, eine Wärme-pumpe für die vollautomatische Klimatisierung. Und das Navigationssystem führt auf kürzestem Weg zum Ziel. Auch ist der e-Crafter schnellladefähig, falls ihm zwischendurch die Puste ausgehen sollte.

Großzügig fällt ebenfalls die Sicherheitsausstattung aus, nicht nur wegen der Anschnallpflicht. Da wäre der Front-Assist mit City-Notbremsfunktion, der aktive Spurassistent, der Fernlicht-Assistent, eine Rückfahrkamera sowie die Einparkhilfe und eine Fülle von Sensoren als Flankenschutz – alles Serie. Das Multifunktionslenkrad gibt‘s obendrauf. Nicht jeder wird alles haben wollen, aber angesichts der ellenlangen Liste schimmert der Preis in milderem Licht. Netto 69 500 Euro verlangt VW für den Kastenwagen mit knapp sechs Meter Länge und Hochdach, und beziffert den Aufpreis zum Diesel mit ähnlicher Ausstattung auf rund 15 000 Euro. Ganz schön abgehoben? Strom ist deutlich billiger als Diesel, der e-Crafter fährt je nach individuellem Tarif ungefähr zum halben Preis. Adblue entfällt, auch der teure Ölwechsel. Aber eine Wallbox muss her, denn mit der 230-Volt Außensteckdose wird der e-Crafter nicht satt. Förderungen sind regional unter-schiedlich und der Wiederverkaufspreis ist unbestimmt. Zur Beruhigung gibt VW dem Transporter eine Langzeitgarantie mit, die teuren Batterien – Faustregel: 500 Euro pro kWh – sollen nach acht Jahren und maximal 160 000 Kilometern mindestens 70 Prozent Kapazität erreichen. Auch dieses Nachlassen der Spannkraft gilt es bei der Kalkulation der Einsätze zu berücksichtigen.

Ein anderer Preis ist der Verlust an Nutz-last, der Stromer wiegt 500 Kilogramm mehr als der Diesel, macht beim 3,5-Tonner 970 Kilo Nutzlast. Ausweg ist der e-Crafter als 4,25-Tonner zum gleichen Preis.

Am Ende der Fahrt kreuz und quer durch die Stadt nennt der Bordrechner einen Schnittverbrauch von rund 22 kWh, das entspricht einer Reichweite von mehr als 160 Kilometern. Gefahren bei Idealbedingungen mit rund 20 Grad Celsius Außentemperatur. Zurück an den Stecker. Eine weitere Erkenntnis: Im Elektriker geht es entspannt zu, selten war Stadtgewusel weniger anstrengend, trotz Kopfsteinpflaster.


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